Offener Brief

Überparteiliche Erklärung: Keine Ausschaffung des Könizer Lehrlings Omar Habibi*

Sehr geehrte Dame und Herren des Gesamtgemeinderats Köniz

Aus dem Artikel im „Der Bund“ konnten wir entnehmen, dass Omar Habibi* ernsthaft und unmittelbar von einer Ausschaffung bedroht ist und ihm bis zur angeordneten Ausreise ein Arbeitsverbot auferlegt wurde. Dies obwohl die aktuelle Lage in seiner Heimat lebensbedrohlich ist, der in Köniz ansässige junge Mann beispiellose Integrationsbemühungen an den Tag gelegt hat und seit letztem Sommer eine Kochlehre EFZ sehr erfolgreich absolviert und der Nationalrat kürzlich eine überparteilich getragene Motion überwiesen hat, die Lehrabbrüche während Asylverfahren verhindern will.

Wir appellieren hiermit an den Gemeinderat sich dafür einzusetzen, diese Ausschaffung zu verhindern.

Die uns bekannte Vorgeschichte: Das SEM und das Bundesverwaltungsgericht gehen trotz der persönlich geschilderten Bedrohung an Leib und Leben des Gesuchstellers, der attestierten Verschlechterung der humanitären Situation und des existenzbedrohenden Zustands in Kabul von der Zumutbarkeit der Wegweisung des Gesuchstellers aus (Urteil BVGer vom 1. Dezember 2020). Das EDA erläutert auf seiner Webseite die Situation in Afghanistan hingegen wie folgt: «Die Sicherheit ist nicht gewährleistet: Es besteht das Risiko von schweren Gefechten, Raketeneinschlägen, Minen, Terroranschlägen, Entführungen und gewalttätigen kriminellen Angriffen einschliesslich Vergewaltigungen und bewaffneter Raubüberfälle.

In verschiedenen Landesteilen bekämpfen die afghanischen Sicherheitskräfte Verbände der Taliban und anderer bewaffneter Gruppierungen. Im Osten des Landes sind Kämpfer aktiv, die sich zum «Islamischen Staat» bekennen. Die Kämpfe fordern zahlreiche Opfer. Allein im Jahr 2018 sind laut der UNO-Mission in Afghanistan (UNAMA) 3804 Zivilisten getötet und 7189 verletzt worden.» Rückkehrer*innen sind dabei zusätzlich gefährdet. Wie Studien aufzeigen, ist Gewalt gegen Abgeschobene und ihre Familien nicht nur zu erwarten, sondern tritt auch innerhalb kürzester Zeit ein. Eine Deutsche Studie zeigt beispielsweise, dass über 90% der abgeschobenen Afghan/innen innerhalb weniger Monate nach der Rückkehr von Gewalt betroffen sind, bei über der Hälfte richtete sich die Gewalt sogar explizit gegen die Rückkehrer.

Die rechtliche Grundlage in der Schweiz unterliegt im Moment einer Neubeurteilung, welche die Lage für den Gesuchsteller grundlegend verändern könnte. Am 26. November 2019 wurde beim Grossen Rat des Kantons Bern und bei den beiden Räten des eidg. Parlaments die Petition „Eine Lehre – eine Zukunft“ mit mehr als 10’000 Unterschriften eingereicht.  Diese verfolgt das Ziel, Asylsuchenden mit gültigem Ausbildungsvertrag die Möglichkeit zu geben, ihre Berufsausbildung abzuschliessen, bevor ein definitiver Entscheid bezüglich ihres Bleiberechtes gefällt wird. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats hat am 13. August 2020 diese Petition mit grosser Mehrheit in eine Kommissionsmotion umgewandelt (Motion 20.3925) und zu Handen der Räte zur dringlichen Behandlung verabschiedet.  Der Nationalrat, hat – zeitlich nach dem oben genannten Asylentscheid des BVG – am 16. Dezember 2020 mit 129 zu 54 Stimmen, d.h. mit 2/3-Mehrheit der Motion überdeutlich zugestimmt. Die Staatspolitische Kommission des Ständerats wird sich bereits am 1. Februar 2021, also in wenigen Tagen, zu diesem Geschäft äussern und der Ständerat wird sich in seiner Frühjahrssession angesichts des klaren Ergebnisses im Nationalrat voraussichtlich positiv zu diesem Geschäft entscheiden.

Weiter wissen wir, dass der betroffene, in Köniz wohnhafte junge Mann seit seiner Ankunft in der Schweiz grosse Integrationsbemühungen unternommen hat. So hat er Sprachkurse absolviert und erfolgreich das Niveau B1 erreicht, den Allgemeinbildenden Unterricht für Erwachsene an der BFF erfolgreich abgeschlossen, diverse Schnupperpraktika und eine Vorlehre absolviert und schliesslich letzten Sommer eine Kochlehre EFZ im Restaurant le beizli begonnen. Daneben hat sich Omar Habibi auch ausserberuflich lokal ein funktionierendes soziales Umfeld schaffen können und setzt sich in freiwilligen Einsätzen für die lokale Gesellschaft ein. Seine neue Heimat und hoffentlich seine Zukunft ist hier in der Schweiz. Dementsprechend bestürzt über die drohende Abschiebung sind sein Lehrbetrieb und sein persönliches Umfeld.

Unter Berücksichtigung der oben geschilderten lebensbedrohlichen Lage in Afghanistan, seiner bewundernswerten Anstrengungen zur schnellen Integration und den sich ändernden rechtlichen Rahmenbedingungen in der Schweiz stellt die geplante Ausschaffung für den Betroffenen aus Sicht der Unterzeichnenden eine unzumutbare Härte dar. Wir fordern den Gemeinderat deshalb auf, sich mit allen Kräften bei den zuständigen Stellen dafür einzusetzen, dass Omar Habibi* eine Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung bekommt.

Konkret fordern wir den Gemeinderat auf,

  • das Staatssekretariat für Migration um eine Wiedererwägung des Asylentscheids zu bitten und seinen dahingehenden Ermessensspielraum zu nutzen

sowie sich sowohl beim kantonalen Migrationsdienst wie auch beim Berner Regierungsrat dafür einzusetzen, dass

  • beim Bundesamt für Migration um eine Zustimmung für eine Aufenthaltsbewilligung ersucht wird bzw. diese in Wiedererwägung gezogen wird,
  • eine «Härtefallbewilligung bei Lehre» erteilt wird, welche ihm ermöglicht, seine Lehre fortzusetzen und abzuschliessen

oder

  • zumindest mit dem Vollzug der aktuell geplanten Massnahmen bis nach dem Entscheid des Ständerats zur „Motion 3925 – Keine Lehrabbrüche nach langen Verfahren“ zu warten.

Wir bitten den Gemeinderat zudem, sich beim Regierungsrat des Kantons Bern dafür einzusetzen, dass Lehrlinge, deren Asylgesuch abgelehnt wurde, im Kanton Bern ihre angefangene Ausbildung beenden können. Wir danken dem Gemeinderat bestens für seine diesbezüglichen Bemühungen.

Freundliche Grüsse

Die unterzeichnenden Parlamentarierinnen und Parlamentarier

David Müller, Christian Roth, Christina Aebischer, Dominic Amacher, Casimir von Arx, Iris Widmer, Dominique Bühler, Tanja Bauer, Isabelle Feller, Simon Stocker, Heidi Eberhard, Claudia Cepeda, Ruedi Lüthi, Roland Akeret, Sandra Röthlisberger, Andreas Lanz, Franziska Adam, Katja Niederhauser-Streiff, Markus Bremgartner, Käthi von Wartburg, Ronald Sonderegger, Beat Haari, Vanda Descombes, Arlette Stauffer, Cathrine Liechti, Beat Biedermann, Matthias Müller, Lydia Feller, Erica Kobel-Itten